Wenn man seine Lust auf Abenteuer und die Entdeckung von Neuem befriedigen will, muss man nicht weit in die Ferne schweifen. Manchmal lohnt es sich, einfach vor die Haustüre zu treten und die Umgebung zu erkunden. Bei einer Exkursion zur Geschichte der Hexenverfolgungen in die südhessische Kleinstadt Dieburg lernte ich einen für mich bisher unbekannten Ort kennen. Durch den Besuch von Orten in Dieburg, die mit den historischen Hexenverfolgungen in Verbindung stehen, konnte ich mir ein eigenes Bild von den Hexenverfolgungen machen. Veranstaltet wurde die Exkursion durch die Volkshochschule Frankfurt, die jedes Jahr eine Exkursion zu den damaligen Hochburgen für Hexenverfolgungen organisiert. Andere Hochburgen waren zum Beispiel Köln, Aschaffenburg oder Bamberg.
Als ausgebildete Historikerin wusste ich schon ein paar Fakten aus der historischen Forschung zu den Hexenverfolgungen. Hexenverfolgungen fanden nicht im „finsteren Mittelalter“, sondern in der frühen Neuzeit, das heißt nach 1500, statt. Dies war eine Zeit der Umbrüche, in der die Neue Welt, also Amerika, entdeckt wurde, der Protestantismus aufkam, der Buchdruck sich verbreitete und Wissenschaftler wie Galileo Galilei die Lehren der Kirchen öffentlich anzweifelten. Auch die Pest wütete mehrmals. Außerdem war es auch eine Zeit des „Klimawandels“ in umgekehrter Richtung: anstatt dass es wie heute wärmer wurde, wurde es kälter. Diese „die Kleine Eiszeit“ genannte Epoche zeichnete sich dadurch aus, dass die Temperaturen in Europa durchschnittlich um 1 Grad Celsius niedriger ausfielen. Die Winter waren länger und es gab viele Missernten. Die Lebenserwartung sank. Hexenverfolgungen können also so wie die meisten Verfolgungen als ein Ventil betrachtet werden, um mit den härteren Lebensbedingungen klarzukommen. Dabei richtete sich der Druck gegen die schwächeren Glieder der Gesellschaft, meist Frauen und Personen am Rande der Gesellschaft.
Bei den Hexenverfolgungen kann man jedoch nicht von einer klar abgrenzbaren Gruppe sprechen. Obwohl die meisten Verfolgten Frauen waren, gab es auch Männer und sogar Kinder, die verfolgt, gefoltert und hingerichtet wurden. Bei den Frauen handelte es sich weder ausschließlich um alte, buckelige Frauen oder rothaarige, junge Frauen. Die als Hexen oder Hexer verfolgten Menschen konnten in Familien oder alleinstehend leben, sie konnten zur Unterschicht oder zur Unterschicht gehören. Hexenverfolgungen in der frühen Neuzeit gab es überall in West- und Mitteleuropa, wobei der Großteil der Prozesse im deutschsprachigen Raum stattfand. Es wird geschätzt, dass 40.000 bis 60.000 Menschen in Europa als Hexen verurteilt und hingerichtet wurden.
Da man Hexen nicht klar erkennen oder definieren konnte – im Gegensatz zu anderen sozialen Randgruppen wie der jüdischen Bevölkerung – musste man diese erstmal zu einem Geständnis bewegen, um sie verurteilen zu können. Hexen wurden damals als „Malefica“ (=Person, die übel handelt) bezeichnet. Den Hexen wurde Schadenszauber vorgeworfen.
Für Dieburg kann der erste Hexenprozess für die Jahre 1596 bis 1599 belegt werden. Dabei ging der Beschuldigung, eine Hexe zu sein, ein Nachbarschaftsstreit voraus. Der Anklagende war ein gesellschaftlich hochstehender Ratsherr, der zwei Frauen – eine Mutter und ihre Tochter – beschuldigte, ihn verhext zu haben, da er nach einem Streit mit ihnen gesundheitliche Probleme bekam. Um einen Prozess ins Laufen zu bringen, bedurfte es aber mehrerer Zeugen. Diese fanden sich auch bald. Die beiden Frauen wurden des Landes verwiesen. Dies bedeutete in der damaligen Zeit oftmals den wirtschaftlichen und sozialen Tod. Für die angeklagte Tochter lässt sich nachweisen, dass sie, nachdem sie des Landes verwiesen worden war, nach einiger Zeit wieder zurückkehrte, erneut verdächtigt und schließlich 1612 hingerichtet wurde. Insgesamt können in der Zeit von 1596 bis 1630, also in einem Zeitraum von über 30 Jahren, 200 Hinrichtungen von „Hexen“ in Dieburg belegt werden. Das ist einem Ort, in dem damals ca. 1800 Menschen lebten, eine Menge.
Bei der Exkursion besuchten wir den Hexenturm, auch Mühlturm genannt, in dem die der Hexerei verdächtigten Personen festgehalten wurden. Die von der Folterung geschwächten, Menschen sollten durch die Festnahme weiter gefügig gemacht werden. Ein weiterer Stop war ein Haus in der Stadtmitte, in dem bis 1627 ein vermögender Dieburger lebte, bis er und seine Frau und ein Jahr später seine Kinder der Hexerei bezichtigt, verurteilt und hingerichtet wurden.
Es ist kaum vorstellbar, was die Menschen damals, die als Hexen beschuldigt wurden, unter den Schmerzen der Folterung erleiden mussten. Wenn sie gestanden, wurde eine Hexenprobe durchgeführt, d.h. es wurde nach weiteren Anzeichen gesucht, dass jemand eine Hexe war. Außerdem wurde nach weiteren „Mittätern“ gesucht, denn man vermutete, dass eine Hexe, neben ihrem Pakt mit dem Teufel, sich auch noch mit anderen Hexen zusammentat und sich zum Hexensabbat traf. Schließlich kam es zum Tod durch Verbrennung auf dem Scheiterhaufen. Neben der völligen Vernichtung sollte das Feuer reinigen. Auch wenn die Hexenverfolgungen als ein düsteres, aber abgeschlossenes Kapitel der Geschichte erscheinen, muss man leider feststellen, dass es bis heute Hexenverfolgungen gibt. In einigen Ländern Afrikas, Asiens oder Südamerikas gibt es auch heute noch Hexenverfolgungen. Und auch hier im vermeintlich fortschrittlichen Europa gibt es noch immer Vorurteile und die Diskriminierung als anders empfundener Menschen. Auch wenn es zutiefst menschlich erscheint, sollte man aus der Vergangenheit lernen.